Ich esse gerne Rindfleisch. Bilder von industrieller Tierhaltung fahren mir aber durch Mark und Bein. Deswegen verbringe ich gefühlte Stunden vor dem Kühlregal im Supermarkt und vergleiche Etiketten auf Frischfleisch.
Wenn ich im Schnitt 70%1 mehr Geld für Bio-Rindfleisch ausgebe, möchte ich zwei Dinge wissen: erstens, auf welche Bio-Siegel kann ich mich verlassen? Und zweitens, ist eine Bio-Kuh auch wirklich glücklich?
I. Auf welche Bio Siegel kann man sich verlassen?
Produkte mit der Kennzeichnung „aus natürlicher Landwirtschaft” oder „aus kontrolliertem Anbau” wirken wie Bio-Produkte, sind es aber oft nicht. Die Vielzahl an Bio-Kennzeichnungen ist verwirrend. Es gibt allerdings eine einfache Hilfe um sich zurecht zu finden: das Bio-Siegel der Europäischen Union. Denn als Faustregel gilt: wenn “Bio” oder „ökologisch” draufsteht dann gelten mindestens die Auflagen der EU. Und die Bestätigung dafür, ist das grüne Logo auf der Verpackung.
Die EU regelt die Produktion und Verarbeitung von Bio-Erzeugnissen2 und bildet damit die Grundlage für alle weiteren nationalen und regionalen Bio-Siegel.
Das EU-Bio-Siegel zeigt dem Konsumenten, dass das Produkt “weitgehend” aus biologischer Landwirtschaft stammt.
Um eine Idee davon zu bekommen, was in dieser Verordnung vorgeschrieben ist, hier ein kleiner Auszug:
Die EU-Bio-Verordnung sieht z.B. vor, dass 95% der Rohstoffe aus biologischem Anbau stammen müssen. Gentechnik ist verboten und auch synthetische Dünge- sowie Pflanzenschutzmittel sind untersagt.
Die Gabe von Hormonen oder der präventive Einsatz von Antibiotika ist verboten. Erkrankt ein Tier, muss zuerst eine Therapie mit Pflanzenextrakten oder homöopathischen Mitteln angestrebt werden. Sollte diese zu keinem Behandlungserfolg führen, so kann ein Tierarzt auch synthetische Medikamente und Antibiotika einsetzen. Werden einem Tier Antibiotika verabreicht, so verdoppelt sich die Wartezeit zur kommerziellen Vermarktung und auch die Milch darf während dieser Zeit nicht als Bio-Milch vertrieben werden. Werden häufiger als drei Mal pro Jahr synthetische Medikamente oder Antibiotika verabreicht, so ist das Tier nicht mehr „Bio” und muss konventionell vermarktet werden.
AMA-Austria und BIO AUSTRIA
Zusätzlich gibt es in Österreich noch andere Gütesiegel wie z.B. das AMA Biosiegel oder das BIO AUSTRIA Logo. Beide stützen sich auf die EU Verordnung und setzen weitere, noch strengere Richtlinien oben auf. Sie regeln hauptsächlich Hygiene, Herkunft und Qualitätskontrolle.
Der Unterschied zwischen dem schwarz-weissen und dem roten AMA Biosiegel liegt darin, dass für das rote Siegel sämtliche Rohstoffe aus Österreich stammen müssen.
II. Steht Bio Haltung für glückliche Kühe?
Schwierige Frage. „Glück” ist schon bei uns Homo Sapiens schwer zu messen – wie misst man „Glück” bei einer Kuh? Interpretiert man Glück als die Abwesenheit von Stress, so könnte man den Stress (d.h. Cortisol-Levels) von Bio-Kuh und konventionel gehaltener Kuh messen und vergleichen. Bei meiner Recherche habe ich zu wenig Datenmaterial gefunden um so eine Hypothese weiter zu verfolgen.
Daher habe ich entschieden das „Glück” der Kühe auf fünf Kategorien herunterzubrechen:
Auslauf
In der konventionellen Viehhaltung besteht keine Pflicht die Tiere auf die Weide zu lassen. Hier macht das Wörtchen „Bio” einen großen Unterschied. Die EU-Bio-Verordnung schreibt vor:
- ständigen Zugang zu Freigelände. Diese Auslaufflächen müssen so gestaltet sein, dass die Tiere Schutz vor Regen, Sonne, Kälte oder Hitze finden. Die Größe der Auslauffläche richtet sich nach dem Gewicht des Tieres. Für ein beispielsweise 400kg schweres junges Mastrind sind es 3,7m2 Mindestfläche, für eine Milchkuh sind es 4,5m2 pro Tier und bei Zuchtstieren sind es 30m2 pro Tier
- Zugang zu Weideland, wann immer der Zustand des Bodens und die Witterungsbedingungen dies zulassen – mindestens aber 180 Tage pro Jahr. Die Größe des Weidelandes soll in etwa 1 ha pro ausgewachsener Kuh betragen.3
Futter
Das Futter muss zu mindestens 60% aus Gras, Heu und Stroh aus biologischem (vorzugsweise Eigen-) Anbau bestehen. Bio-Kraftfutter darf bis zu einem Anteil von 40% verzehrt werden,4 Tiermehl ist untersagt. Kälber müssen mit natürlicher Milch gefüttert werden, vorzugsweise mit der Milch der Mutterkuh.
Um das BIO AUSTRIA Logo ausweisen zu dürfen muss der Raufutteranteil mindestens 85% betragen.
Stall
Im Stall ist der Platz pro Tier abhängig von seinem Gewicht. Beispielsweise hat ein 400kg schweres, junges Mastrind zumindest 5m2 Platz im Stall. Für seine Milchkuh-Kolleginnen sind 6m2 pro Tier reserviert. Das klingt nach mehr, läuft allerdings bei dem durchschnittlichen Gewicht von 600kg einer Milchkuh auf ein ähnliches Verhältnis von Gewicht zu Quadratmeter hinaus. Für die Tiere sind bequeme, saubere, trockene Ruhe- bzw. Liegeflächen mit ganztägiger Tränkmöglichkeit bereitzustellen.
Herdengröße
Unter natürlichen Bedingungen besteht eine Rinderherde aus etwa 20-30 Kühen mit ihren Jungtieren. Ich vergleiche diese Herdengröße mit dem Viehbestand der österreichischen Bio-Bauern.
Von den insgesamt 379.895 Rindern aus Bio-Landwirtschaftsbetrieben in Österreich werden die meisten in kleinen Betrieben gehalten. 30% der Bio-Rinder teilen sich beispielsweise auf 22% der Bio-Betriebe auf. Man sieht auch, dass fast die Hälfte der Bio-Betriebe relativ kleine Herden von weniger als 19 Tieren hält. Knapp zwei Drittel haben weniger als 30 Kühe am Hof. Das sind 37% aller Bio-Rinder in Österreich. Zwei Drittel der Bio-Rinder werden in Größen von maximal 50 Tieren gehalten.5
Österreich ist im europäischen Vergleich Spitzenreiter in der Bio-Rinderhaltung. Der Bio-Anteil in EU-27 lag in 2010 im Durchschnitt bei unter 3%.6 In Österreich kamen in 2013 mehr als 19% aller Rinder aus biologischer Haltung, Tendenz steigend.
Auch die oben beschriebene kleine Herdengröße ist eher unüblich im europäischen Vergleich. Eine Auswahl der Top 5 Bio-Produzenten plus Deutschland und Frankreich zeigt, wie Rinder bei unseren EU-Nachbarn gehalten werden (ohne Trennung von biologischer und konventioneller Haltung).
In den Vergleichsländern werden über zwei Drittel der Rinder in Großbetrieben von über 100 Rinder pro Betrieb gehalten. In Österreich werden nur 14% so gehalten und innerhalb der biologischen Landwirtschaft sind es sogar nur 7%. Die kleineren Herdengrößen in Österreich sprechen – stark vereinfacht – für bessere Bedingungen für die Kühe.
Sozialverhalten
Rinder haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Es gibt eine Rangordnung und klare Regeln innerhalb einer Herde. Kälber haben eine enge Beziehung zur Mutterkuh: wenn eine Kuh ein Kalb gebärt, leckt sie es trocken und säugt es mehrmals täglich. Die Milch der ersten Tage ist besonders reichhaltig und wichtig für das Immunsystem der Kälber. Nach kurzer Zeit erkennt die Kuh ihr Kalb am Geruch, nach wenigen Tagen kennen sie gegenseitig ihre Stimmen. Rund sechs Monate säugt das Kalb am Euter seiner Mutter.
In der Milchviehhaltung werden die Kälber binnen der ersten Lebenswoche, oft schon nach wenigen Stunden oder Tagen, von der Mutter getrennt. Die Kuh ruft noch tagelang nach ihrem Jungen. Früh getrennte Kälber zeigen häufig Verhaltensauffälligkeiten wie gegenseitiges Besaugen.
Auch Bio-Kälber werden von ihrer Mutter getrennt
Warum werden Mutterkuh und Kalb eigentlich getrennt? Muttertiere produzieren grundsätzlich so viel Milch wie ihre Nachkommen benötigen. Um mehr Milch zu erwirtschaften als das Kalb benötigt, muss man in der Milchproduktion tricksen:
- Die Milchkuh bekommt zusätzlich Kraftfutter. Eine österreichische Milchkuh erzielt eine jährliche Milchleistung von durchschnittlich 6.580 Liter pro Jahr,7 das ist mehr als doppelt so viel als sie für die Ernährung ihres Kalbs benötigen würde.8 Raufutter – sprich Gras, Heu, Stroh – hat einen relativ niedrigen Energiewert und reicht nicht aus, um diesen erhöhten Energiebedarf zu decken. Daher wird mit sogenanntem „Kraftfutter” zugefüttert. Dieses besteht bei einem Bio-Milchbauern zumeist aus geschroteten Getreidesorten und Eiweißfrüchten (z.B. Soja, Erbsen) aus Bio-Anbau.
- Milchkühe werden jedes Jahr geschwängert, denn ohne Kalb – keine Milch.
- Auch bei der Herstellung von Biomilch, werden die Kälber bald nach der Geburt von der Mutterkuh getrennt. Die Kälber müssen zwar laut EU-Bio-Verordnung „natürliche Milch” zu trinken bekommen – das kann Frischmilch oder auch Milchpulver9 sein – allerdings bekommen sie diese aus mechanischen Trinkvorrichtungen verabreicht. Am Euter der Mutter dürfen die Kälber nicht trinken. Die vorgeschriebene Gruppenhaltung ab dem Alter von einer Woche soll dem Kalb ein Leben im Sozialverband bieten. Dieser Verband ist meist eine Gruppe von Kälbern und bedeutet nicht, dass das das Tier mit seiner Mutter beisammen sein darf um seinem natürlichen Sozialverhalten – Säugen und Ablecken – nachzugehen. Milch aus echter „Mutterkuhhaltung” sucht man in österreichischen Supermärkten vergebens.
„Aber ich sehe oft Kühe mit ihren Jungen auf der Wiese grasen, wie kann das sein wenn die Tiere getrennt werden?”
Mutterkuhhaltung gibt es natürlich schon, aber nicht bei Milchkühen.
Ein kleiner Exkurs in die konventionelle Rindviehhaltung macht das verständlicher: in der Rindviehhaltung unterscheidet man zwischen Milchvieh, für die Milchproduktion und Mastvieh, für die Fleischproduktion. In Österreich werden über zwei Drittel der Kühe als Milchvieh gehalten und rund ein Drittel als Mastvieh.10 Da die Milch des Mastviehs nicht kommerziell verwertet wird, kann das Kalb bei der Mutterkuh bleiben und säugen.
Im Klartext bedeutet das: wer nicht möchte dass Kalb und Mutter getrennt werden, darf keine Milch aus dem Supermarkt kaufen, egal ob Bio-Milch oder konventionelle Milch.
Wer nicht möchte, dass Kalb und Mutter getrennt werden, darf keine Milch kaufen.
Auch die strengen, österreichischen Bio-Richtlinien von AMA-Austria oder BIO AUSTRIA schreiben keine Muttergebundene Kälberaufzucht für Milchvieh vor.
Wo gibt es Milch aus Muttergebundener Kälberaufzucht in Österreich zu kaufen?
Ich habe viel herumgefragt und konnte selbst in dezidierten Bauernläden in Wien keine solche Milch finden. Sie wird meist nur direkt am Bauernhof zum Eigenbedarf getrunken und stammt von Mütterkühen (sprich von Mastvieh), nicht von Milchkühen.
Das Problem scheint zu sein, dass Milchproduktion eine sehr arbeitsintensive Form der Landwirtschaft ist. Durch Muttergebundene Kälberaufzucht erhöht sich der Arbeitsaufwand und verringert sich der Milchoutput – keine sonderlich attraktive Nische, nicht einmal für Kleinbetriebe.
In meinem Folgeartikel Kalbfreundliche Milch aus Österreich liste ich Bezugsquellen für Milch aus muttergebundener Kälberaufzucht auf.
Macht der Kauf von Bio-Produkten dann überhaupt Sinn?
Absolut! Auch wenn outputorientierte Nutztierhaltung immer einen Kompromiss für die artgerechte Form der Tierhaltung darstellt, so sind die Bedingungen in der Bio-Haltung doch merklich besser als in der konventionellen Haltung.
Noch viel wichtiger ist “Bio” allerdings für die Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft:
- Nährstoffe im Boden bleiben erhalten. Durch abwechslungsreiche Fruchtfolgen und regelmäßige Pausen können sich die Böden erholen.
- Grundwasser wird nicht mit Kunstdüngern belastet.
- Da der Biobauer keine künstlichen Pflanzenschutzmittel einsetzen darf, ist eine hohe Biodiversität in seinem Eigeninteresse.
Biologische Landwirtschaft schont Böden und Gewässer und hilft damit uns und zukünftigen Generationen.
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Eigene Berechnung: Verschiedene Rindfleischteile (Hüftsteak, Gulasch, Schnitzel, Faschiertes) im Preisvergleich zwischen Bio und konventioneller Herkunft. Verglichen wurden Proben von drei Einzelhandelsketten in Österreich: Spar, Billa und Hofer am 25.10.2016. ↩
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EU-Bio-Verordnung 834/2007 und 889/2008 ↩
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Tatsächlich ist die Berechnung der Größe des Weidelandes von vielen Faktoren abhängig. Wer sich hierfür genauer interessiert, dem empfehle ich direkt in der Bio-Verordnung 889/2008 – Artikel 14 nachzulesen. ↩
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Während der Laktationsperiode darf das Verhältnis von Rau- und Kraftfutter 50:50 betragen. ↩
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Daten aus “Struktur der Rinderhaltenden Betriebe in Österreich zum Stichtag 1.12.2015”, Bundesanstalt für Agrarökonomik, BMLFUW ↩
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Facts and figures on organic agriculture in the European Union, 2013 ↩
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laut tel. Auskunft von BIO AUSTRIA ist Bio-Milchpulver verhältnismäßig teuer und wird nur in Notfällen eingesetzt ↩